Nachfrage: Nachfragepolitik

Nachfrage: Nachfragepolitik
Nachfrage: Nachfragepolitik
 
Nachfragepolitik (nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik) ist ein wirtschaftspolitisches Konzept, das im Gegensatz zur Angebotspolitik in der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die Schlüsselgröße zur Beeinflussung von Beschäftigung und Wirtschaftswachstum sieht. Arbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche sind nach Ansicht der Nachfragepolitik durch Stimulierung der Gesamtnachfrage mittels expansiver Geld- oder Fiskalpolitik zu überwinden.
 
 Kurzfristige Konjunkturpolitik
 
Wirtschaftstheoretische Grundlagen der Nachfragepolitik sind das Werk von John M. Keynes und die daran anknüpfenden Arbeiten von Keynesianern wie John R. Hicks (1904-1989), Alvin H.Hansen (1887- 1975) und Nicholas Kaldor (1908-1986). Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise gelangte Keynes zu der Überzeugung, dass fortwährende Unterbeschäftigung möglich sei, weil sich ein Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt nicht automatisch einstelle. Eine wichtige Ursache für andauernde Unterbeschäftigung besteht für ihn darin, dass die Märkte unvollkommen sind und daher nicht im neoklassischen Sinne funktionieren können. Die Starrheit von Löhnen und anderen Preisen lähmen die Marktkräfte. Wenn sich die Löhne nicht schnell genug anpassen, ensteht Arbeitslosigkeit. Als Lösung schlug Keynes vor, dass der Staat durch Ausgabenprogramme die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöht, was wiederum mehr Beschäftigung bewirken sollte. Die staatlichen Mehrausgaben sollten v. a. durch Kreditaufnahme (Defizitfinanzierung) finanziert werden.
 
Keynes' Theorie ist ursprünglich eine kurzfristige Analyse von Wirtschaftsprozessen. Im Konjunkturabschwung empfielt er, die Nachfrage zu stützen und sie in Boomzeiten zu drosseln. Nachfrageorientierte Politik ist daher zunächst Stabilisierungspolitik. Als Instrumente sollen die Geld- und die Fiskalpolitik (antizyklische Finanzpolitik) eingesetzt werden. Niedrige Zinsen erhöhen die Nachfrage nach Investitions- und Konsumgütern. Ansteigende Staatsnachfrage stößt Investitionen z. B. im Wohnungsbau an. Umgekehrt sollen im Boom höhere Zinsen und Steuern sowie ein verringerter Staatsverbrauch die Konjunktur dämpfen. Während Angebotspolitik versucht, langfristig das gesamtwirtschaftliche Produktionspotenzial zu erhöhen, geht es nachfrageorientierter Konjunkturpolitik um die Glättung kurzfristiger Nachfrageschwankungen. Sie wird daher auch als Prozesspolitik bezeichnet.
 
 Langfristige Wachstumspolitik
 
Während Konjunktur die Schwankungen um eine längerfristige Trendentwicklung bezeichnet, ist Wachstum die langfristige Trendentwicklung selbst. Eine erhöhte Nachfrage sollte nicht nur konjunkturelle Schwankungen ausgleichen, sondern auch langfristig das Wachstum einer Volkswirtschaft stärken. Begründung dafür ist die Vermutung, dass langfristig Sättigungstendenzen im Konsum eintreten, wobei als Indiz der Anstieg der makroökonomischen Sparquote gilt. Dieses Übertragen der Ideen von Keynes auf die lange Frist ist auf Hansen und Hicks zurückzuführen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand die Nachfragepolitik weite Verbreitung und wurde in Deutschland in den 70er-Jahren von Wirtschaftsminister Karl Schiller (1911-1994) unter der Bezeichnung Globalsteuerung praktiziert. Die Nachfragepolitik schlug sich in dem ständig steigenden Anteil des Staates an der gesamten Wirtschaftsleistung (Staatsquote) nieder. Weil seit der Erdölkrise von 1973/74 hohe Arbeitslosigkeit und hohe Inflation (Stagflation) gleichzeitig auftraten, geriet der Keynesianismus in Erklärungsnot und wurde durch die Angebotspolitik abgelöst. Unter der Regierung Schröder findet Nachfragepolitik wieder mehr Beachtung.
 
 Kritische Sichtweise
 
Viele Ökonomen lehnen eine keynesianische Wachstumspolitik ab. Für sie bedeutet eine steigende Staatsquote nämlich, dass ein immer größerer Teil der Wirtschaft verstaatlicht und damit die Privatinitiative eingeschränkt wird. Eine Ankurbelung der Nachfrage reduziert die Arbeitslosigkeit nicht, v. a. wenn diese strukturell bedingt ist, z. B. durch starre Tarifverträge oder ungünstige Qualifikation der Arbeitskräfte. Eine Nachfragepolitik, die durch Defizite finanziert wird, erhöht die Staatsverschuldung. Wenn sie mittels sinkender Zinsen die Investitionsnachfrage stimulieren will, besteht die Gefahr höherer Inflation. Der von Keynesianern angenommene positive Wachstumseffekt einer parallelen Erhöhung von Steuern und Ausgaben wird bezweifelt: Einerseits können höhere Unternehmenssteuern die Investitionsbereitschaft reduzieren, und andererseits führt eine höhere staatliche Kreditaufnahme zu einer steigenden Zinsbelastung des Staates und möglicherweise zur Verdrängung der privaten Kreditnachfrage (Crowding-out). Nur bei gleichzeitiger Steigerung der privaten Sparquote sei ein Anstieg der Zinsen zu vermeiden.

Universal-Lexikon. 2012.

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